Reinickendorf Raccoons

Raccoons: Den Sieg vor den Augen, den Blick weit nach vorn

Raccoons: Den Sieg vor den Augen, den Blick weit nach vorn

Drehen wir die Uhr um ein knappes Jahr zurück. Die Reinickendorf Raccoons liegen am Boden. In den Play-Off's ist man sang- und klanglos in vier Spielen an den Pankow Predators gescheitert. Iwanow, Kaupert, Saimitmirow, Coronix, Kinstler, Erdgas, Ruzmarinovic, Walrus, Petersen, Hammerhart, Berthold und Knutsen wandern aufgrund ihres Alters in den UFA-Pool oder in den Ruhestand. Es bleibt ein Rumpfkader von 13 Akteuren. Auf der Habenseite: Lumpige 6 Millionen, um einen wettbewerbsfähigen TOHL-Kader und einen Farmteam-Müllhaufen in Kadersollstärke auf die Beine zu stellen. Wohl eine Ausgangslage, die nicht wenige General Manager womöglich vor die Sinnfrage gestellt hätte. Und es wäre sicherlich nicht verwerflich gewesen, wenn sich auch Sly genau diese Frage gestellt hätte, doch seine Antwort fiel damals mehr als deutlich aus. Nie zuvor hat er soviel Kraft, Zeit und Liebe aufgewendet, um die Reinickendorf Raccoons zu retten.

„Wenn man bis zum Hals in der Scheiße steckt, empfiehlt es sich nicht, den Kopf einzuziehen“, so Sly rückblickend. „Ich habe das Missmanagement der letzten Jahre zu verantworten. Während alle anderen Manager perspektivisch geplant haben, Dinge durchkalkuliert und bedacht haben, bin ich mit meiner Ostblocktruppe sehenden Auges in das Elend gelaufen“, fügte Sly auf der jüngsten PK selbstkritisch hinzu. „Ich habe immer wieder gut gemeinte Hinweise aus der Liga vernommen, bin gewarnt, aber nicht tätig geworden. Da war es nur klar, dass ich in dieser wohl schwersten Phase der Raccoons nicht nur meiner Franchise, sondern auch der Liga etwas schuldig war“, schloss Sly seine emotionale Rede nach dem heutigen 6:1 Auftakterfolg gegen die Kassel Wild Wolves im Conference Finale ab.

Wie lang und steinig der Weg bis hierhin gewesen war, kann sich heute nur noch erahnen lassen. Erst langsam schiebt Sly die hochgekrempelten Ärmel peu à peu nach unten. Der Kraftakt der Pre-Season nagt noch immer an ihm, doch jede Sekunde des schier unmenschlichen Einsatzes zahlt sich nun auf dem Eis aus und schlägt sich in Ergebnissen nieder. „Ich war damals kurz davor, sogar eine Excel-Tabelle anzulegen, wenn ich das Know-How dafür gehabt hätte. Ich habe mich drei Tage krank schreiben lassen, um meine Tätigkeit im sozialen Brennpunkt ruhen lassen zu können, einfach nur, um sicherstellen zu können, dass ich im Poker um Bärentöter, Cuttner, Frost und Morgentau immer das letzte Wort haben werde. Bis auf den letzten Cent habe ich alles ausgerechnet, bis auf den letzten Switch alles durchdacht, um die billigsten Billiglöhner für das Farmteam gefeilscht, einfach nur, um heute hier stehen zu können und mit stolz geschwellter Heldenbrust sagen zu können: Die Raccoons werden ewig leben!

Vor der Saison war sich die Konkurrenz diesbezüglich nicht ganz so sicher. Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich dit Wetter oder't bleibt wie't is. Viel verbindlicher wollte man sich in der TOHL nicht festlegen, was man vom neuen Starensemble um Fanliebling und Rückkehrer Morgentau und dem zwangsdelegierten Petrow so erwarten können werde: „Die Raccoons sind der große Gewinner des UFA“, „diese Mannschaft kann alle schlagen“, „Rentnertruppe, die über den Zenit hinaus ist“, „Kaderdecke zu dünn“, „kann überraschen – sowohl positiv, als auch negativ“, so die etwas schwammigen Prognosen der Mitbewerber. „Und ganz ehrlich, viel sicherer waren wir uns da anfangs auch nicht, was wir da wohl so zusammengestellt haben“, gibt Sly heute unverdrossen zu. Nun steht man unter den besten vier Teams der Liga und hat offenkundig nicht all zu viel falsch gemacht.

Damit das auch so bleibt, werkelt man in Reinickendorf hinter den Kulissen bereits an der Kaderplanung für die kommende Saison, die so viel leichter auch nicht werden wird. Abermals droht der Abgang vieler gealterter Stars, doch Sly zeigt sich recht selbstsicher, dass man auch diese erneut gut kompensieren können wird. „Reinickendorf ist ein guter Fleck Erde für alte, weiße Männer. Hier kann man um den Tegeler See spazieren, im Forst dem großen Vergnügen des Nordic Walking frönen und die CDU wählen, ohne dass die Nachbarn mit der Nase rümpfen, da werden wir schon den einen oder anderen Ü-30-Akteur aus der Liga für die Raccoons erwärmen können“.

Nicht nur inhaltsleere Worte, sondern ein realistischer Ausblick in die Zukunft. Anders ist es nicht zu erklären, dass bereits der erste richtig große Name für die kommende Saison unterschrieben hat. Die neue Nummer 1 im Tor wird niemand geringeres werden als Benjamin Buresch, seines Zeichens Stammkeeper der Admirals aus Fredersdorf, zweimaliger TOHL-Champion, zwei Mal der Keeper mit den wenigstens Gegentoren der gesamten Liga und dekoriert mit der Vezina Trophy. Wahrlich, früher hat man in Reinickendorf in anderen Gefilden fischen müssen...

… und auch von der Möglichkeit, einen Akteur aus dem Ostblock vor dem Ruhestand zu bewahren, werden die Reinickendorf Raccoons wieder Gebrauch machen. Im letzten Jahr stellte dies noch eine echte Hürde dar, irgendeinen Pseudo-Deutsch-Russen („Sascha“ Roesch) in Reinickendorf festzuhalten, doch dieses Jahr flattern die Bewerbungen herein, dass es nur so eine helle Freude ist. „An jedem verdammten Tag rennen uns die Osteuropäer die Geschäftsstelle ein“, klagt Chefsekretärin Inka Rantäne, „vom Aufnehmen der Personalien sind X, Y, C und Z schon ganz abgewetzt“.

Sorgen, die man 4-5 Ebenen weiter oben nicht hat. „Da sind schon sehr interessante Namen dabei und so langsam befinden wir uns auch auf der Zielgeraden der Entscheidungsfindung. Sind ja jetzt auch nur noch sieben Saisonspiele und dann lassen wir bei ein paar rumähnlichen Getränken die Bombe platzen“, so Sly23 abschließend. Spannende Zeiten in Reinickendorf und ganz egal, wie es am Ende ausgehen wird, wird doch zumindest eines Bestand haben: Die Raccoons. Die werden nämlich ewig leben!

Cem Pion
für TOHL Magazine

Donnerstag, den 02.Februar 2023 - 21:30 Uhr - Reinickendorf Raccoons

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